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Krimi der Woche - Schrecken der Erinnerung

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Beitrag von Admin Do Apr 03, 2008 9:02 am

Minette Walters beschwört in ihrem neuesten Roman vor dem Hintergrund des Irakkrieges ein schockierendes Psycho-Szenario herauf.

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Minette Walters, Der Schatten des Chamäleons, Goldmann, 445 Seiten, 19,95 Euro


Haben Sie jemals verletzte Soldaten aus dem Irakkrieg im Fernsehen gesehen? 26-jährige Männer ohne Beine, Erblindete, ganz zu schweigen von den Traumata, die man ihnen nicht ansieht? Lieutenant Charles Acland ist einer von ihnen. Sein Panzer fuhr in einen Hinterhalt, explodierte, er wurde nach England in ein Hospital geflogen und überlebte nach einer schwierigen Kopfoperation.

Dann kommt er zu sich, und das ist ein Albtraum. Sein Gesicht ist entstellt, ein Auge fehlt, unerträgliche Kopfschmerzattacken suchen ihn heim. Langsam kehren Erinnerungen zurück: die Fahrt im Panzer, die Straßensperre, die Explosion. Die Kameraden sind tot. Er selbst ist der einzige Überlebende des Spähtrupps. Acland fühlt sich schuldig, weil er der Anführer war.

Die Armee kann Opfer nicht gebrauchen
Nicht nur Aclands Äußeres hat sich verändert, auch sein Wesen. Acland reagiert gereizt, aggressiv, er scheint keine Kontrolle mehr über sein Ich zu besitzen. Der früher heitere Acland wird unberechenbar, terrorisiert seine Umwelt mit Wutausbrüchen, üblen Anschuldigungen und Beschimpfungen.

Dennoch, nach mehreren Operationen wird der Soldat schließlich aus dem Krankenhaus entlassen, ein Wrack, körperlich und seelisch, obwohl er sich nicht gehen lassen will. Zurück zur Einheit in den Irak will er, sieht dort den einzigen noch verbliebenen Sinn seines Lebens. Aber er macht sich etwas vor: Die Armee will ihn nicht mehr, sie kann nichts anfangen mit Einäugigen und Traumatisierten.

Ein anderes Ich
Aclands Leben ist vollkommen anders geworden. Er ist kein gut aussehender junger Mann mehr, sondern entstellt, seine Mitmenschen sehen beschämt oder erschrocken weg, meiden Kontakte, selbst wenn Acland dazukommen sollte und lachen würde, wäre sein Gesicht nur eine schockierende Fratze.

Konflikte mit der Außenwelt sind vorprogrammiert. Und der Hass auf Muslime auch. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis Acland deshalb Probleme bekommt. Tatsächlich dauert es nicht lang, und er schlägt in einem Pub einen Pakistani beinahe tot. Damit nicht genug. Die Polizei sucht einen Mörder, der es offenbar auf homosexuelle ältere Männer, die eine Verbindung zum Militär hatten, abgesehen hat. Acland gerät in Verdacht und bleibt im Visier der Polizei.

Das Fremde in uns
Allerdings soll diese Situation auch etwas Gutes haben, denn er trifft im Pub auf Dr. Jackson, eine Ärztin, die im Laufe der Ereignisse die Einzige ist, die den richtigen Ton findet, um mit ihm umzugehen. Zunächst aber zieht sich Acland mit seinem Seesack, seinem einzigen Hab und Gut, zu den Außenseitern der heuchlerischen Gesellschaft zurück, die die Kriege und die Drecksarbeit gern auf die Schwachen und Chancenlosen abwälzt: zu den Obdachlosen, Drogenabhängigen, den Nicht-mehr-Gebrauchten.

Mit Aclands Wut wächst auch die des Lesers. Könnte es sein, dass Acland sich rächen will, für das, was man ihm angetan hat? Ist es möglich, dass ein Teil unseres Ichs etwas tut, an das sich der andere Teil nicht mehr erinnern kann? Lauert nicht in uns allen eine unbekannte oder verdrängte dunkle Seite, die irgendwann aus uns hervorbricht und das Kommando übernimmt? Und: Was wissen wir denn über dieses Konstrukt Gehirn in unserem Kopf?

Das schockierende Was-Wäre-Wenn?
Minette Walters Kriminalromane zeichnen sich durch ihre Psychologie und Sozialkritik aus. Auch in diesem Roman zwingt sie uns schon gleich zu Beginn durch den in seiner Realität schockierenden Anfang in die Rolle des verletzten Charles Acland. Sie beschwört in uns die Angst herauf, das Gedächtnis zu verlieren, entstellt, verkrüppelt zu sein und uns selbst fremd zu sein.
Den Leser dieses Szenario als realistisch empfinden zu lassen, das gelingt Minette Walters außerordentlich gut. So gut, dass der Leser am Ende versucht sein könnte zu fragen, was für einen Roman Minette Walters wohl hätte schreiben können, wenn sie sich einmal nicht für einen Krimi entschieden hätte. Und noch eines: Außergewöhnliche Charaktere sind gewiss interessant für Leser, aber muss die sozial engagierte Ärztin Dr. Jackson eine lesbische Bodybuilderin sein, die in ihrer Freizeit das Pub ihrer blonden Geliebten führt? Minette Walters Fans werden es ihrer Autorin sicher nachsehen. Von FOCUS-Online-Autorin Manuela Martini
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