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Der Vampir - Der Massen-Medien-Mörder

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Beitrag von Admin Sa Okt 17, 2009 7:34 am

In seinem Thriller „Der Vampir“ geht John Marks bis an die Grenzen des Genres – und darüber hinaus. Ist Vampirismus ein Krimi-Thema? Aber klar!


Der Vampir - Der Massen-Medien-Mörder Hbgv7210
John Marks, Der Vampir, Aufbau-Taschenbuch, 493 Seiten, 9,95 Euro
Achtung, liebe Stephenie-Meyer-Fans – bitte nicht mehr weiterlesen! Das Buch, um das es hier geht, hat nichts mit den schwülen Pubertäts-Beißereien aus der Twilight-Zone zu tun, sondern mit dem richtigen Leben. Dem Leben im 20. Stock des Bürogebäudes an der New Yorker West Street, dem Sitz des erfolgreichsten Nachrichtenmagazins des US-Fernsehens: „The Hour“ ist eine Institution, als deren Vorbild ohne Weiteres die „60 Minutes“ von CBS zu erkennen sind, für die der Autor John Marks einmal gearbeitet hat.

Aus ihrem Bürofenster blicken die Producer, Präsentatoren und Chefs von „The Hour“ direkt auf Ground Zero, Trauma und Todeszone, Schauplatz eines der größten Massenmorde der neueren Geschichte. Wie passend, wo doch der Tod ein wesentlicher Teil des Nachrichtengeschäfts ist: Vietnam, Palästina, Irak – alles Schauplätze preisgekrönter „The Hour“-Nachrichtenreportagen.

Von hier aus startet Evangeline Harker zur Recherchetour nach Rumänien. Als Producerin ist sie eine der Macherinnen der Show, Herrscherin über Kameramänner und Reporter, Organisatorin und Aufreißerin von Geschichten. Evangelines neuer Job führt sie in den tiefsten Karpaten zu Ion Torgu, einem rumänischen, besser: transylvanischen Mafioso, Menschen-, Waffen-, Drogenhändler, Strippenzieher, dunklen Herrscher über ein verfallenes Hotel, in dem es seltsame Gäste und verbotene Etagen gibt. Ein Interview will der Herr der Finsternis geben.

Nicht nur Evangeline Harker kommt das komisch vor, was sie da vor Ort und beim Treffen mit der zentralen Figur der geplanten Reportage erlebt. Da war doch mal was mit Transylvanien und den seltsamen Typen dort? Richtig, da gab es vor etwas mehr als 100 Jahren einen Roman, der mit „Jonathan Harker´s Journal“, beginnt: „3 May. Bistritz – left Munich at 8:35 P. M., on 1st May“, dem Beginn einer Reise, die den englischen Anwalt Jonathan Harker in Bram Stokers „Dracula“ nach Transylvanien führte, um dort mit einem gewissen Grafen über den Kaufvertrag für ein Haus in London zu verhandeln.

Aber so einfach eins zu eins als Kopie des alten Meisters wie es der Anfang vermuten lässt, hat John Marks seinen Roman nun Gott sei Dank doch nicht angelegt – dieser angebliche rumänische Großgangster mit einem Privatmuseum voller Todes-Artefakte hat nichts von der erotisch-faszinierenden Dracula-Erscheinung, auf die all die Bis(s)-Fans so abfahren. Im Gegenteil, wie Evangeline Harker beim Treffen mit Ion Torgu feststellt: „Diesen Kerl können wir unmöglich im amerikanischen Fernsehen zeigen. Seht euch seine gottverdammten Zähne an!“ Da blitzt nichts weiß und spitz, das sieht es eher nach schwerster Paradonditis und jeder Menge Zahnstein aus. Überhaupt: „Der Kerl ist ein Freak!“

Aber was für einer! Denn was Evangeline, die zeitgenössische Version des Dracula-Berichterstatters in Ion Torgus vergammeltem Hotel erlebt, ist ein Best of aus allen Serienkillerromanen von Thomas Harris bis Sebastian Fitzek, verschnitten mit den guten alten gotischen Horrorgeschichten von Blut trinkenden Untoten mit Knoblauchallergie.

„Fangland“ heißt der Roman im Original, „Land der Reißzähne“ – und damit ist nicht das gute alte Transylvanien gemeint, sondern die New Yorker Redaktion von „The Hour“ im Angesicht von Ground Zero. Hier werden nämlich nach Evangeline Harkers Verschwinden in Rumänien einige angeblich von ihr noch abgeschickte Interview-Videos mit Ion Torgu angeliefert und seltsamerweise auch sofort von eilfertigen Technikern digitalisiert, also ins Computersystem der Reaktion eingespielt. Bloß: Auf den Bändern sieht man keinen Interviewpartner. Nur einen leeren Stuhl. Und auch auf der Tonspur ist nichts – außer einem kaum wahrnehmbaren Flüstern, das in einem fort die Ortsnamen von großen Massakern, Massenmorden und Kriegen aufzählt: Karthago, Hiroshima, Schanghai, Treblinka, Dien Bien Phu ...

Ein Flüstern, das alsbald auch auf anderen Sendebändern der Redaktion auftaucht, während zugleich eine seltsame Verwandlung mit dem Personal von „The Hour“ vor sich geht – man verfällt, wird krank, schneidet sich die Pulsadern auf. Ein Virus? Ein Anschlag? Massensuggestion?

Was für eine hervorragende Idee von John Marks, seine Neuschreibung von Bram Stokers Klassiker zum Dracula 2.0 im Fernsehland anzusiedeln. Was für eine geschickte Führung der Handlung, ausgerechnet die News-Junkies, die im Angesicht der Ruinen von 9/11 ihre Daseinsberechtigung aus dem Sterben anderer Menschen ziehen, zum Ziel der düsteren Machenschaften eines stummelzähnigen transylvanischen Großgangsters zu machen. Denn in seinem zweiten Teil wird „Der Vampir“ damit zu einem Medien- und Büro-Thriller, „Das Schweigen der Lämmer“ trifft „The Office“ – und das Allerwunderbarste ist, wie geschickt hier das Standardrepertoire des klassischen Kriminal- und Paranoiathrillers verfremdet und über die Grenze des Genres hinausgeführt wird. Zu einem Diskurs über die Vampire des 21. Jahrhunderts, die nächste Generation sozusagen, die schon längst nicht mehr in transylvanischen Schlössern haust, sondern in den Vorstandsetagen der globalisierten MedienkonzerneVon FOCUS-Online-Autor Reinhard Jahn www.focus.de
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