inFAMOUS

Seinen letzten Arbeitstag als Fahrradkurier hätte sich Cole MacGrath, Protagonist in Sonys Actionstreich "inFAMOUS", wohl anders vorgestellt: Eines seiner auszuliefernden Pakete erweist sich als hochexplosive Fracht und legt große Teile seiner Heimatstadt Empire City in Schutt und Asche. Cole überlebt, doch als er aus dem Koma erwacht, sucht eine schreckliche Seuche die Bewohner Empire Citys heim, während zahlreiche Gangs und andere merkwürdige Kreaturen die Straßen der von der Regierung unter Quarantäne gestellten Stadt unsicher machen. Viel wesentlicher aber ist, dass Cole plötzliche über Superkräfte verfügt. Stellt sich nur noch die Frage, ob er sie zum oder gegen das Wohl der Bevölkerung einsetzt...



Aus großer Macht folgt große Verantwortung", sagte einst Onkel Ben zu Peter Parker alias Spider-Man. Cole steht vor einer ähnlichen Herausforderung: Nach der mysteriösen Explosion gleicht der einstige Kurier einem lebenden Trafo, der Strom abzapfen, in sich speichern und praktischerweise in Form von Blitzen, Energie-Granaten oder etwa Schockwellen auch wieder abgeben kann. Doch damit nicht genug: Cole kann neuerdings klettern wie ein Meister, und sollte er beim Kraxeln an Häuserfassaden und Co einmal abstürzen, stecken seine unter Strom stehenden Knochen dies locker weg. Der Tausend-Volt-Mann verfügt außerdem über die seltene Gabe, Bio-Energie zu absorbieren, sprich: Leben auszusaugen, und Menschen mittels Defilibrator-Handauflegung zu heilen.
Doch jeder Superheld hat auch so seine Schwächen - im Falle Coles sind dies Wasser und Stromausfälle, denn ohne Starkstrom in seinen Gliedern ist der Gute ziemlich aufgeschmissen. Oberste Priorität hat daher für den Neo-Wunderwuzzi in der offenen Spielwelt von Empire City das Wiederherstellen der Stromversorgung, um so schließlich auch den Drahtziehern des Bombenanschlags auf die Schliche zu kommen. Das allerdings erweist sich als weitaus schwieriger als erwartet, sind durch die Explosion doch auch zahlreiche Kleinkriminelle, Dealer und sonstiger Ganoven-Abschaum, allgemein Reaper genannt, mit übernatürlichen Fähigkeiten gesegnet worden.


Für die gerechte Sache - oder eben nicht
Durch erfolgreiches Absolvieren von Nebenmissionen lassen sich die Kriminellen jedoch in ihre Schranken weisen und das in drei Stadtteile gegliederte Gebiet von Empire City nach und nach zurückerobern. Vorausgesetzt, Cole dient der guten Sache. In sogenannten Karma-Momenten wird der Superheld immer wieder auf die Probe gestellt: Erweist er sich als Retter der Stadt oder beschwört er durch sein selbstsüchtiges Handeln ihren Niedergang? Abhängig davon, welchen Weg Cole einschlägt, stehen ihm unterschiedliche Missionen, aber auch unterschiedliche Fähigkeiten zur Verfügung. Zugleich beeinflusst er mit seinen Entscheidungen maßgeblich das Verhalten der Bevölkerung: Tut er Gutes, wird er gefeiert und geehrt wie ein Popstar – Autogrammjäger und Paparazzi inklusive; sind seine Motive hingegen egoistischer Natur, bekommt er dies durch tieffliegende Steine und üble Beschimpfungen zu spüren, während die Stadt zusehends im Chaos versinkt.



Über Stock und Stein
Sowohl die Haupt- als auch Nebenmissionen sind äußerst abwechslungsreich gestaltet worden. Neben den vergleichsweise typischen "Beseitige Reaper X an Ort Y"-Aufträgen warten diverse Verfolgungs-, Sammel- oder Eskortier-Missionen. Auch Checkpoint-Rennen haben ihren Weg ins Spiel gefunden. Für sie muss Cole dann auch ganz besonders tief in die Trickkiste greifen, um mit Hilfe seiner athletischen Fähigkeiten möglichst schnell über die Häuserdächer von Empire City zu flitzen. Glücklicherweise haben die Entwickler von Sucker Punch Productions dabei Wert auf eine einfache Steuerung gelegt, so dass Cole allein durch den Einsatz von X-Button und Analog-Stick mühelos an Mauern emporklettert oder über zwischen Häusern gespannten Drahtseilen balanciert.



Auch die Steuerung im Kampf stellt den Spieler vor keine großen Herausforderungen: Mit L1 nimmt Cole seine Widersacher ins Visier, ehe er sie über R1 mit Blitzen eindeckt. Unter Zuhilfenahme der Buttons kann der Superheld schließlich Energiegranaten verschießen, Feinde mit Elektro-Fesseln versehen, Passanten heilen oder die bereits angesprochene Bio-Energie absorbieren. Die wohl wichtigste Taste ist jedoch L2, mit deren Hilfe der Superheld Straßenlaternen, Autobatterien, Fernseher und andere Gegenstände, durch die in irgendeiner Art und Weise Strom fließt, anzapft, um seine eigenen Batterien wieder aufzuladen. Denn leider stehen Cole gewisse Kräfte nicht unbegrenzt zur Verfügung und zehren am eigenen Energiespeicher.



Mittels Karma zu neuen Superkräften
Für jede absolvierte Mission, jeden getöteten oder in Elektro-Fesseln gelegten Feind und für jedes Handauflegen wird Cole schließlich mit positiven oder negativen Karma-Punkten belohnt, bis er in der Stufe aufsteigt und neue Fähigkeiten freischalten kann. Darunter etwa stärkere Blitze, verbesserte Nahkampffähigkeiten oder eine größere Schadensresistenz. Da je nach Spielweise nur bestimmte Fähigkeiten zur Auswahl stehen und durch das Bewältigen guter Missionen etwa böse Aufträge vor der Karte gestrichen werden, steigt der Wiederspielwert enorm – wenngleich "inFAMOUS" ohnehin ein Spiel mit offenem Ende ist: Sollten alle Missionen erledigt sein, darf die Stadt auch weiterhin als großer Spielplatz zum Herumturnen und Suchen von versteckten Sammel-Items genutzt werden.



So kann man sich dann auch stressfrei an der prächtigen Optik von Empire City erfreuen. Besonders auffallend ist dabei die Liebe zum Detail, die die Entwickler bei der Gestaltung des Spiels haben walten lassen. Wie bei "GTA IV" wuselt es an allen Ecken und Enden, drehen Autos ihre Runden und interagieren Passanten auf unterschiedlichste Weise miteinander. Im Zusammenhang mit der großen Spielwelt wirkt sich diese Dynamik zwar von Zeit zu Zeit negativ auf die Framerate aus, insbesondere, wenn Cole mächtig seine Funken sprühen lässt – störend ist dies allerdings nicht, was auch für die vereinzelt aufpoppenden Texturen gilt. Als eher nervig wurde hingegen die deutsche Synchronisation empfunden, die insgesamt ein wenig überengagiert wirkt. Gute Musik und tolle Sounds machen dieses Manko jedoch wieder wett.



Fazit: Die ersten Minuten als Cole in "inFAMOUS" verlaufen ein wenig schleppend. Die in tollen, comicartigen Zwischensequenzen erzählte Story gewinnt jedoch schnell an Fahrt und so steigt mit Erstarken der eigenen Superkräfte auch der Spielspaß proportional an. Schon bald stellt sich dieses gewisse Machtgefühl ein, und ehe man sich versieht, hetzt man als Superheld über die Dächer der Stadt, schlägt Reaper in die Flucht und wirft ein wachsames Auge auf seine Schäfchen. Oder man macht genau das Gegenteil, markiert den fiesen Macker und erhält so ganz andere Fähigkeiten, was den Wiederspielwert steigert. Genau diese Erfahrung, seines eigenen Glückes Schmied zu sein, ist es dann auch, die "inFAMOUS" so spielenswert macht. Wer eine PS3 sein Eigen nennt, sollte daher nicht zögern und zugreifen. Xbox-360-Besitzer bekommen mit "Crackdown" eine vergleichbare Alternative.
Plattform: PS3
Publisher: Sony
krone.at-Wertung: 9/10
von Sebastian Räuchle www.krone.at