Sigis Info Forum....the best of *NEWS*
Würden Sie gerne auf diese Nachricht reagieren? Erstellen Sie einen Account in wenigen Klicks oder loggen Sie sich ein, um fortzufahren.

„Ein Ende mit Tränen“ Tot im Straßengraben

Nach unten

„Ein Ende mit Tränen“ Tot im Straßengraben Empty „Ein Ende mit Tränen“ Tot im Straßengraben

Beitrag von sigi So Nov 16, 2008 9:37 am

Ein Vater findet seine ermordete Tochter. Inspector Wexford, selbst
Vater zweier Töchter, kann die unfassbaren Dimensionen, die der Fall
annimmt, kaum glauben.

„Ein Ende mit Tränen“ Tot im Straßengraben Blank

Ruth Rendell ist ein Phänomen. Seit über 40 Jahren gehört sie zu den
erfolgreichsten Krimiautorinnen der Welt und das gleich doppelt. Oder
sogar dreifach: Einmal mit ihrer Serie um Inspector Wexford, die in
Großbritannien bereits 21 Romane umfasst. Dann mit ihren
Psychothrillern, in denen sie die Umstände seziert, die soziale
Außenseiter unausweichlich zu den grausamsten Taten bringen. Und
schließlich begeistert sie noch seit den 80er-Jahren unter ihrem
Pseudonym Barbara Vine, ebenfalls mit meisterhaften Psychothrillern.
Manche sagen sogar, sie schreibe als Barbara Vine noch besser als unter
ihrem eigenen Namen.

Ihr Talent für fiktionale Texte entdeckte
sie übrigens während ihrer Arbeit als Journalistin für eine
Lokalzeitung in Essex. Sie sollte über das Jahrestreffen eines
Tennisclubs schreiben, hatte aber keine Lust. Also ging sie nicht hin,
sondern dachte sich, es würde schon so werden wie die anderen
Jahrestreffen auch. Blöd nur, dass ausgerechnet bei diesem Treffen, dem
sie nicht beiwohnte, einer der Oratoren mitten in seiner Rede tot
zusammenbrach und mit dem Gesicht in den Suppenteller fiel. So flog sie
auf, wurde gefeuert und fing an, Krimis zu schreiben. Wofür
Arbeitslosigkeit so alles gut sein kann.

Und nun liegt der 20. Krimi mit Inspector Wexford vor. Wexford, anders
als das Gros seiner literarischen Kollegen glücklich verheiratet und
mit zwei mehr oder weniger wohlgeratenen Töchtern gesegnet, die die
treue Leserschaft hat aufwachsen sehen, ist auffällig umgänglich und
wohltuend unschrullig. Das Schrulligste an ihm ist, dass er mit dem
Älterwerden ein bisschen den Anschluss verliert: Seine Mitarbeiterin
Sergeant Hannah Goldsmith rümpft fast schon im Minutentakt die Nase,
wenn ihr Chef mit politisch unkorrekten Anreden wie „Miss“ daherkommt,
verheiratete Frauen als „Ehefrau“ statt als „Partnerin“ betitelt und
von „Affären“ statt von „Beziehungen“ spricht.

So mag die
mittlerweile 78-jährige Autorin mit einem Schmunzeln ihre eigenen
Ansichten über politisch korrekte Sprachneuerungen zum Ausdruck
bringen, und auch Wexfords Unfähigkeit, sich unfallfrei in die weite
Welt des Internets hineinzudenken, zeugt davon, dass die große alte
Dame des britischen Kriminalromans eben genau das ist: eine alte Dame.
Dafür aber liefert sie mit „Ein Ende mit Tränen“ eine hochkomplexe,
psychologisch bis ins Letzte durchdachte Geschichte und präsentiert sie
natürlich nicht als Technothriller, sondern als klassischen „Whodunnit“
in der Tradition, für die sie steht.

Es geht hier um den Mord an
einem gerade 18-jährigen Mädchen (Hannah Goldsmith würde sagen: Frau,
weil sie bereits 18 ist) namens Amber. Ambers Vater, der die ganze
Nacht nur schlecht geschlafen hat, wie immer, wenn sie mit Freunden
durch die Clubs zog, wird im Morgengrauen unruhig, weil sie noch nicht
zurück ist. Schließlich geht er die Straßen ab und findet sie – tot in
einem Graben. Ein Zeitungsbote ruft die Polizei, die den trauernden
Vater neben der Leiche seiner Tochter liegend vorfindet. Und das alles
liest sich ganz und gar nicht verstaubt.

Das Motiv für den Mord an Amber bleibt fast bis zur letzten Seite im
Dunkeln. Die Polizei ermittelt in alle Richtungen: Waren Drogen im
Spiel? Ging es um Eifersucht? Was hat es mit Ambers einjährigem Kind
auf sich, um das nicht sie sich kümmerte, sondern ihr Vater und ihre
Stiefmutter? Was ist mit dem Vater der Kinder? Und warum wird ein
zweites junges Mädchen, Megan, ebenfalls eine Teenagermutter,
umgebracht?


Rendell spinnt ein dichtes Netz an falschen Fährten und greift dabei,
wie man es von ihr gewohnt ist, große soziale Themen kritisch auf. Umso
überraschender ist schließlich die Auflösung, die von Inspector Wexford
im Stil des „großen Detektivs“ wie einst bei Sherlock Holmes
präsentiert wird: Er stellt sich vor sein Team von Ermittlern – seine
Watsons – und erklärt ihnen, wie sich alles zugetragen hat. Das mag
altmodisch erscheinen, wie Wexford eben auch zur alten Schule gehört.
Aber die psychologische Präzision, die akkurate Beobachtung zeitgemäßer
gesellschaftlicher Entwicklungen machen Rendells Bücher zu modernen
Sozialromanen, die zugleich unterhalten und dazu sprachlich überzeugen.
„Ein Ende mit Tränen“ ist ein rundum gelungenes Krimilesevergnügen.


Von FOCUS-Online-Autorin Henrike Heiland www.focus.de

Ruth Rendell: Ein Ende mit Tränen, Blanvalet, 384 Seiten, 19,95 Euro
sigi
sigi
Admin
Admin

Männlich
Anzahl der Beiträge : 5465
Alter : 64
Ort : Gratkorn
Arbeit/Hobbies : ja..eh alles...
Laune : wechselhaft
Anmeldedatum : 21.10.07

http://www.realhp.de/members/siegfried

Nach oben Nach unten

Nach oben

- Ähnliche Themen

 
Befugnisse in diesem Forum
Sie können in diesem Forum nicht antworten