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Krimi der Woche - Was geht ab in Bosque?

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Beitrag von sigi Mo März 03, 2008 11:04 pm

Ein Einzelgänger gegen ein ganzes Dorf: Der Argentinier Antonio Dal Masetto macht seinen Roman „Blut und Spiele“ mit Humor und präziser Sprache zu einem packenden Krimi.


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Antonio Dal Masetto, Blut und Spiele, Rotpunktverlag Zürich, 231 Seiten, 19,80 Euro


Ein Mann namens Muto kommt in die Kleinstadt Bosque und quartiert sich dort ein. Zu Hause hat er zufällig im Wartezimmer des Zahnarztes einen Zeitungsbericht über einen Banküberfall gelesen, der sich vor über einem Jahr in Bosque zugetragen hat. Weil einer der Räuber jener Mann ist, der Muto vor langer Zeit die Frau ausgespannt hat, ist Muto neugierig geworden und will mehr über den Überfall erfahren. Zum Spaß gibt er sich als Drehbuchautor aus und behauptet, die Bewohner Bosques könnten für Rollen in einem geplanten Film besetzt werden. Rasch spricht sich diese Mär herum, und bereitwillig gibt ein Bürger nach dem anderen Auskunft.

Eine undurchschaubare Dorfgemeinschaft
Trotzdem bleibt Bosque undurchschaubar. Seinerzeit stellten und töteten die Bewohner die Räuber, doch angeblich weiß keiner, wo die Beute abgeblieben ist. Auch während Mutos Aufenthalt geschehen rätselhafte Dinge. Bald fragt er sich, was er hier überhaupt soll, und nimmt sich vor, am nächsten Morgen abzureisen. Doch dann nimmt er den Nebel als Vorwand, um sich nicht auf die Heimfahrt zu begeben – längst haben ihn die Mysterien des Ortes gefangen genommen.

Diese Stimmung lässt unweigerlich an Kafka denken: der Einzelne gegen eine fremde Gemeinschaft, die nach geheimen Regeln zu funktionieren scheint. Schon die Eingangsszene ist surreal: Vor seiner Ankunft in Bosque beobachtet Muto zwei Männer, die auf einen langsam fahrenden Zug springen, der Vieh geladen hat. Blitzschnell schlachten sie eins der Kälber und werfen die Fleischstücke aus dem Waggon. Eine weitere Person beobachtet die Szenerie, eine unbekannte Motorradfahrerin, die Mutos Weg bis zum Ende des Romans immer wieder kreuzen wird.

Die Gewalt sucht sich ein Ventil
Als in der zweiten Hälfte der Erzählung eine Reihe von Morden geschieht, ist bereits klar, worum es in Antonio Dal Masettos „Blut und Spiele“ geht: um die Brüchigkeit unserer Zivilisation, um die Risse in bürgerlichen Fassaden, um die Gewalt, die den Menschen innewohnt und manchmal nur die bloße Chance zum gnadenlosen Ausbruch braucht. Bankraub, eine Entführung oder gar Mord – sie werden teils nur deshalb begangen, weil die Gelegenheit gerade günstig ist. Brutalität als Spiel und – folgerichtig – die Täter als ganz normale „Jungs“, wie Varini, ein scheinbar honoriger Anwalt, die Horde bezeichnet, die dem Dorfpfarrer und dessen Frau übel mitspielt.

Für Dal Masetto steht das exemplarisch: „Im Grunde war Bosque ein Dorf wie viele andere, klein und apathisch, von träger Geschäftigkeit und mit geregeltem Tagesablauf.“ Wer kann, nimmt sich ohne Mitleid, was er will. Dafür steht bereits der surreale Beginn: „Der Waggon mit den beiden Männern verschwand in der Kurve, und es war nur noch das langsame Hingleiten des Zuges und das laute Wehklagen des Tieres unter dem Himmel wahrzunehmen.“

Düsteres Stück über eine Welt ohne Moral
Dal Masettos Sprache ist schnörkellos und nüchtern, die gelungene Übersetzung von Susanna Mende lässt die Stimmung knistern. Und immer wieder blitzt galliger Humor auf, zum Beispiel, wenn sich ein Beitrag des Lokalradios über einen Fall von Tierquälerei empört – als würden sich die Menschen einander nicht weit Schlimmeres antun. Dal Masetto gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Autoren Argentiniens. In seinem älteren Roman „Noch eine Nacht“ beschreibt er übrigens den Bankraub, auf den sich „Blut und Spiele“ bezieht – zwei Werke, die man trotzdem unabhängig voneinander lesen kann.

Im Lauf der Geschichte entpuppt sich Anwalt Varini übrigens als Anstifter jener Horde, die den Pfarrer jagt. Varini macht es Spaß, Menschen aufeinanderzuhetzen – er ist die eigentliche Hauptfigur. Erst am Ende löst sich Muto aus seiner beobachtenden Rolle, und Dal Masetto gibt seinem Roman eine verblüffende, aber folgerichtige Wendung. „Blut und Spiele“ ist ein düsteres Stück über eine im Kern zutiefst amoralische Welt.
Von FOCUS-Online-Autor Horst Eckert
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